Medienportal der Universität: Nie mehr braune Äpfel?
Je länger ein Apfel seine schöne Farbe behält, desto besser – vor allem für die Lebensmittelindustrie. Deshalb arbeitet diese mit Hochdruck daran, das "Braunwerden" von Obst zu stoppen. ChemikerInnen der Universität Wien rund um Annette Rompel sind diesem Ziel nun einen Schritt näher gekommen.
"Mama, diesen braunen Apfel esse ich nicht." Jeder kennt das Phänomen: Nach dem Aufschneiden eines Apfels verliert dieser schnell seine appetitliche Farbe, was nicht nur Kinder abschreckt. Obwohl braun gewordenes Obst nicht gesundheitsschädlich ist, beißen wir doch ungern in "alt aussehende" Früchte und werfen jährlich eine riesige Menge an frischen Produkten in den Müll.
Grund für die hässliche Färbung ist eine chemische Reaktion, die von dem Enzym Tyrosinase katalysiert wird. "Eigentlich ist dieses 'Braunwerden' ein Verteidigungsmechanismus von Pflanzen. Tatsächlich gibt es Raupen, die mit vollem Magen verhungern, weil sie das durch die Tyrosinase veränderte Material nicht mehr verdauen können", erklärt Matthias Pretzler vom Institut für Biophysikalische Chemie der Universität Wien, der gemeinsam mit Kollegen und unter der Leitung von Annette Rompel an der Aufklärung der ersten Struktur einer pflanzlichen Tyrosinase mitgewirkt hat. Die Forschungsergebnisse wurden nun im Journal "Angewandte Chemie" publiziert.
Vom Champignon zum Walnussblatt
Die Tyrosinase, die übrigens beim Menschen an der Synthese von Melanin beteiligt und somit auch hier für das "Braunwerden" verantwortlich ist, ist ein metallhaltiges Enzym, das die Oxidation von Phenolen katalysiert und die Chemikerin Annette Rompel seit über 20 Jahren beschäftigt. "In den 90ern waren wir noch sehr weit davon entfernt, das Enzym in den Griff zu bekommen. Heute hingegen stehen uns mit der modernen Chromatographie und Kristallographie ganz andere technische Möglichkeiten zu Verfügung", freut sich Rompel, die schon damals versuchte, das Enzym aus einem Walnussblatt zu isolieren.
Nachdem im Jahr 2014 die erfolgreiche Enzym-Charakterisierung im Champignon gelang, steht nun wieder das Walnussblatt im Zentrum ihrer Forschung. "Walnussblätter färben die Haut braun – daher weiß man, dass sie eine hohe Konzentration des Enzyms enthalten. Damit sind sie eine attraktive Quelle für unsere Forschung", erklärt sie.
Annette Rompel und ihre MitarbeiterInnen betreiben Grundlagenforschung: Ihr Ziel ist es, die Tyrosinase besser zu verstehen. "Neue Erkenntnisse würden vor allem auch für den pharmazeutischen Bereich einen enormen Fortschritt bedeuten", so die Forscherin. In der Biotechnologie z.B. wird die Tyrosinase u.a. als Vernetzungskatalysator verwendet, um Wirkstoffe mit zusätzlichen Funktionen auszustatten oder einzukapseln.
Alte Theorie weicht neuer Erkenntnis
Mit der Kristallisation der Tyrosinase aus dem Walnussblatt haben die ForscherInnen eine gängige Theorie widerlegt. Die Tyrosinase gehört zu der Enzymklasse der Polyphenoloxidasen. Sie katalysiert die ersten beiden Reaktionen im Anfangsstadium der Melaninsynthese. "Neben der Tyrosinase findet man in Pflanzen auch die sogenannte Catecholoxidase, ebenfalls eine Polyphenoloxidase, die aber nur die zweite Reaktion (Oxidation) katalysieren kann", erklärt Matthias Pretzler.
Diese beiden Enzyme sind sich strukturell sehr ähnlich. "Das wirft die Frage auf, wie diese unterschiedlichen Reaktivitäten zustande kommen", führt Aleksandar Bijelic weiter aus. Bisher wurde angenommen, dass sich die Tyrosinase von der Catecholoxidase durch eine Aminosäure unterscheidet, die quasi wie ein "Pfropf" über dem aktiven Zentrum liegt, und dass dieser Unterschied für die verschiedenen Reaktivitäten verantwortlich sei. Nachdem die ForscherInnen der Universität Wien nun die erste pflanzliche Tyrosinase kristallisiert haben, hat sich jedoch herausgestellt, dass in Pflanzen beide Enzymklassen diesen "Pfropf" besitzen. "Unser Fazit war, dass wir den Blickwinkel ändern müssen", erzählt der Doktorand.
Die ChemikerInnen der Universität Wien tragen mit ihrer Forschung dazu bei, auch die humane Tyrosinase besser zu verstehen: Bei Menschen ist die Tyrosinase an der Synthese von Melanin an der Membran von Melanozyten beteiligt. Damit schützt sie uns vor UV-Strahlen und ist für unsere Pigmentierung verantwortlich. In der Wissenschaft gilt sie aber noch als weitgehend unverstanden.
Neue Blickwinkel einnehmen
Das Team verlegte also den Fokus vom aktiven Zentrum nach außen. "Unsere Annahme war, dass dort eine Art Vororientierung stattfinden muss, sodass sich ein Substrat trotz 'Pfropf' vorbeischmuggeln und von der Tyrosinase dann verwertet werden kann", so die Projektleiterin. Die ForscherInnen haben quasi ein wenig "herausgezoomt" und sich den Aminosäuren der zweiten Schale zugewandt, die am Eingang des aktiven Zentrums liegen. "Und es hat sich tatsächlich herausgestellt, dass diese eine wichtigere Rolle spielen als bisher angenommen."
ChemikerInnen der Universität Wien haben erstmals eine pflanzliche Tyrosinase kristallisiert. Die Tyrosinase ist u.a. dafür verantwortlich, dass Äpfel braun werden. "Wie man diese Reaktion konkret steuert bzw. ausschaltet, wissen wir zwar noch nicht, aber wir haben mit unserer Forschung auf jeden Fall einen Vorstoß in die richtige Richtung gemacht", betont der Erstautor Aleksandar Bijelic.
Prinzip dahinter entschlüsseln
"Im Laufe meiner langjährigen Forschungsarbeit zur Tyrosinase stellte sich immer wieder die Frage, warum es ständig unerwartete Reaktionsprodukte gibt. Selbst wenn man sie mit denselben Substraten füttert, können unterschiedliche Produkte rauskommen", erzählt Annette Rompel. Ihr Ziel ist es, das Prinzip dahinter zu entschlüsseln und zu verstehen, wie das Enzym, sprich die Tyrosinase, genau funktioniert. Wenn das gelingt, könnte man u.a. die Bräunungsreaktion im Obst blocken.
Bräunungs-Aktivierung unterdrücken
Die Forschungsgruppe hat nun bereits das nächste Projekt am Start, um genau hier anzusetzen und eine gesundheitlich unbedenkliche Methode zu finden, mit der die Tyrosinase gesteuert werden kann. Dafür soll herausgefunden werden, wie die Tyrosinase überhaupt aktiviert wird. "Wir wollen das Enzym finden, das die Tyrosinase von latent auf aktiv 'schaltet'", erklären die ForscherInnen. "Würde es uns gelingen, diesen ersten aktivierenden Schritt zu unterdrücken, wäre das ein enormer Erfolg für die Wissenschaft", ergänzt Annette Rompel und schmunzelt: "Falls Sie dann in Zukunft eine Banane in Ihrer Tasche quetschen, würde sie nicht mehr braun werden." Faulen würde sie deshalb natürlich trotzdem. "Wahrscheinlich sogar schneller", schließt Matthias Pretzler.
Publikationen zum Thema:
- Die Publikation "Purification and characterization of tyrosinase from walnut leaves (Juglans regia)" (F. Zekiri, C. Molitor, S. G. Mauracher, C. Michael, R. L. Mayer, C. Gerner, A. Rompel) erschien im Mai 2014 im Journal "Phytochemistry".
- Die Publikation "Crystallization and preliminary X-ray crystallographic analysis of polyphenol oxidase from Juglans regia (jrPPO1)" (AutorInnen: F. Zekiri, A. Bijelic, C. Molitor, A. Rompel) erschien im Jänner 2014 im Journal "Acta Cryst".
Die Publikationen entstanden im Rahmen des FWF-Projekts "Strukturelle Charakterisierung von Typ 3-Kupferproteinen", das seit 1. März 2013 bis 29. Februar 2016 unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Annette Rompel, Vorständin des Instituts für Biophysikalische Chemie, läuft. ProjektmitarbeiterInnen sind Dipl.-Ing. Matthias Pretzler, BSc und Aleksandar Bijelic, MSc.